Aus dem Russisch-Kollegium
Gedanken zum Russischunterricht
Ohnmächtig angesichts der immer brutaleren Kampfhandlungen und immer absurderen Erklärungen auf Seiten Russlands versuchen wir nun wohl alle, durch individuelle oder koordinierte Hilfeleistung das Leid der Bevölkerung wenigstens ein wenig zu mildern.
Für uns, die wir die russische Sprache unterrichten, ergibt sich aus den kriegerischen Handlungen jedoch noch eine schwierige Frage: Wie sollen wir unvoreingenommen und wertfrei, mit Begeisterung und Überzeugung die fremde Sprache unterrichten, konfrontiert mit dieser menschenverachtenden Politik des Landes?
Wir haben uns intensiv ausgetauscht, auch Stimmen aus anderen Schulen oder kulturellen Einrichtungen gehört und nehmen wahr, dass es allen so geht wie uns. Wir nehmen aber auch wahr, dass alle zu der gleichen Antwort kommen: Es ist nicht die Sprache, die den Konflikt hervorgebracht hat, es sind nicht die Bürger Russlands, zu denen man auf Distanz gehen muss.
Unsere Schule ist durch die Partnerschaft zur Waldorfschule in Irkutsk in ganz besonderer Weise mit Russland verbunden. Die Begegnungen der letzten 20 Jahre haben enge Zusammenarbeit gefördert, tiefe Freundschaften entstehen lassen und die Schülerinnen und Schüler motiviert, sich für die Sprache und für Initiativen in Russland zu engagieren.
Steht dieses Projekt, von dem wir geglaubt haben, es sei nachhaltig, tragfähig und zukunftsorientiert jetzt vor dem Aus?
In unserer Partnerschule besteht die große Sorge, dass die allgemeine Ablehnung Russlands nun auch zum Abbruch unserer Partnerschaft führen könnte. In vielen Nachrichten, die uns in den letzten Tagen erreicht haben, wird die Hoffnung ausgesprochen, dass wir die Brücken nach Sibirien nicht einreißen. Das will niemand von uns, im Gegenteil! Wie diese Beziehungen ganz praktisch in der Zukunft gepflegt werden können, darüber werden wir uns jetzt Gedanken machen müssen.
Einen Gesichtspunkt, der auch jenseits von Krieg und Entfremdung seine Gültigkeit hat, können wir allerdings mit Überzeugung formulieren:
Für uns ist es ein persönlicher Beitrag der Entwicklung zum (zukünftigen) Frieden und zur aufrichtigen Verständigung in Europa und in der Welt, dass an Waldorfschulen Russisch unterrichtet wird. Wir helfen damit, das Fenster nach Osten offenzuhalten und den osteuropäischen Völkern mit echtem Interesse zu begegnen.
Sprache unterrichten ist Friedensarbeit. Wir stehen nun in einer noch größeren Verantwortung und vor der Aufgabe, die Brücke zu halten.
In der Hoffnung auf eine gemeinsame menschenwürdige Zukunft in der Welt - für die man etwas tun kann, indem wir die fremde Sprache - Russisch - lehren und lernen, indem wir nicht in Freund-Feind-Klischees verfallen.
Миру мир!
Das Russischkollegium
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